Karriere
Personen: | Herr Schneider Frau Schneider Anna, Dienstmädchen |
Beschreibung: | Das Bühnenbild stellt ein gut ausgestattetes Wohnzimmer dar. Herr Schneider sitzt in einem Sessel und liest die Zeitung, bis seine Frau aufgeregt hereinkommt. |
Frau Schneider: | Und du sitzt da und liest! |
Herr Schneider: | (erstaunt) Warum soll ich denn nicht lesen? |
Frau Schneider: | Anna hat gekündigt! |
Herr Schneider: | Na - und? Suchst du dir eine andere! |
Frau Schneider: | Wie du dir das denkst, Karl! |
Herr Schneider: | Was paßt denn dem Mädchen nun wieder nicht? Will sie mehr verdienen? |
Frau Schneider: | Mehr? Hunderttausend will sie verdienen. - |
Herr Schneider: | (Legt die Zeitung hin und schaut auf) Hat sie im Lotto gewonnen? |
Frau Schneider: | Ach was! Sie geht zum Film. |
Herr Schneider: | Zum Film? Die? Die Anna? Dieser Trampel? |
Frau Schneider: | Jawohl, sie geht zum Film. - |
Herr Schneider: | Nun lass mal deine Witze. Was ist denn nun wirklich los? |
Frau Schneider: | Ich sage es dir ja: Anna, unsere Anna, geht zum Film! |
Herr Schneider: | (während er kopfschüttelnd nach einer Zigarre greift) Na, dann soll sie eben... |
Frau Schneider: | (seufzend) Mit dir ist aber auch gar nichts anzufangen. Weißt du denn nicht, was das bedeutet? |
Herr Schneider: | (brennt die Zigarre an) Was das bedeutet? Das bedeutet, daß wir wieder einmal ein Mädchen gehabt haben, Und daß du dir jetzt ein neues suchen mußt. |
Frau Schneider: | Na ja, das auch. Aber es bedeutet noch viel mehr! |
Herr Schneider: | Aha! |
Frau Schneider: | Du brauchst gar nicht so zynisch zu sein! |
Herr Schneider: | Zynisch? Wiso bin ich denn zynisch? Hungrig bin ich, und wenn es nicht bald etwas zu essen gibt... |
Frau Schneider: | Essen! Dazu haben wir jetzt keine Zeit! |
Herr Schneider: | Ach so! Haben wir nicht? Na ja, wenn wir nicht mal zum Essen Zeit haben... |
Frau Schneider: | Wir müssen nämlich jetzt etwas unternehmen! |
Herr Schneider: | Wir? Du mußt etwas unternehmen! Ruf' doch auf dem Arbeitsamt an - oder bei dieser Stellenvermittlung in der Karlstrasse... |
Frau Schneider: | (läßt sich seufzend in einen Stuhl fallen) Du bist wirklich ganz schön verkalkt! Anna geht zum Film! Verstehst du denn nicht, was das bedeutet?! |
Herr Schneider: | Das bedeutet, daß sie filmen wird. |
Frau Schneider: | Daß sie Hunderttausende verdienen wird! Das bedeutet es in erster Linie! |
Herr Schneider: | Und was kann ich daran ändern? |
Frau Schneider: | Du sollst nichts daran ändern - du sollst dich um das Mädchen kümmern! Wenn wir sie adoptieren... |
Herr Schneider: | Um Himmelswillen |
Frau Schneider: | Gar nicht! Um des Geldes willen! Schließlich ist sie jetzt seit zwei Jahren bei uns, und alles, was sie kann, haben wir ihr beigebracht! Jetzt, wo sie sich benehmen kann und wenigstens ab und zu mal den Mund aufmacht - jetzt ist sie entdeckt worden. Und wir sind sozusagen schuld an ihrer Karriere. Wenn wir sie nicht aus dem Dorf herausgeholt hätten, dann säße sie immer noch in Neustadt und würde was weiß ich tun! Magd irgendwo - da sie keine Eltern mehr hat. Ihre Tante war doch froh, daß sie sie nicht mehr durchzufüttern brauchte! Und jetzt müssen wir uns unseren Anteil sichern! Verstehst du das denn wirklich nicht? |
Herr Schneider: | Ach, so meinst du das? Donnerschlag - für so gescheit hätte ich dich gar nicht gehalten! Du meinst also... |
Frau Schneider: | Ich meine, daß wir uns jetzt ganz besonders um Anna kümmern müssen. Film! Du weißt ja, wie das ist! Da kann sie glatt vor die Hunde gehen, wenn keiner auf sie aufpasst! Es steht ja jeden Tag in der Zeitung... |
Herr Schneider: | Eine gute Figur hat sie ja... |
Frau Schneider: | Sicher hat sie die! Und ihr Gesicht! - Na, schön können sie ja nicht alle sein. Und wer weiß, was für Rollen sie kriegt... |
Herr Schneider: | Woher weißt du das denn eigentlich? |
Frau Schneider: | Woher ich das weiß? Na, erstens von Anna selbst und zweitens habe ich gehört, wie sie mit der Dame und dem Herrn verhandelt hat. Übermorgen wird sie mit dem Wagen abgeholt... |
Herr Schneider: | So! Und du hast sie einfach so gehen lassen? Und die Kündigungsfrist? |
Frau Schneider: | Kündigungsfrist! In solchem Falle! |
Herr Schneider: | Da hast du allerdings Ausnahmsweise einmal recht. Warte mal...! Natürlich müssen wir uns um das Kind kümmern. |
Frau Schneider: | Während der Ausbildungszeit bekommt sie erst einmal zweihundert Mark im Monat - sie muß ja erst lernen... |
Herr Schneider: | Muß sie! Natürlich muß sie lernen. Und wie hast du dir alles gedacht? |
Frau Schneider: | Na, so: Ich werde sie erst einmal ausstaffieren, damit sie anständig angezogen aussieht. Und dann müssen wir mit ihr sprechen, ob sie vielleicht - sieh mal: wenn wir das Mädchen in der ersten Zeit ein bißchen unterstützen, dann können wir Ansprüche erheben, wenn es einmal die großen Gagen bekommt. |
Herr Schneider: | Davon stehen uns mindestens fünfzig Prozent zu. - Schließlich ist sie erst durch uns in die Satdt gekommen und durch diese Tatsache Entdeckt worden. Kannst du sie nicht mal reinkommen lassen? Frau Schneider ruft mehrmals "Anna!" |
! | (Herr Und Frau Schneider setzen sich und sehen erwartungsvoll zur Tür, bis ein junges Mädchen, plump angezogen und nicht besonders intelligent aussehend, zur Tür hereinkommt.) |
Frau Schneider: | Ah, da sind sie ja, mein liebes Kind! Kommen sie doch mal näher... (Anna stapft fest zur Mitte) |
Herr Schneider: | Sie wollen uns also verlassen, Anna? |
Anna: | Hm! |
Herr Schneider: | Das ist natürlich sehr schade. Sie waren meiner Frau immer eine sehr große Hilfe. |
Frau Schneider: | Aber wir werden ihrer Karriere natürlich nichts in die Wege legen... |
Anna: | Hm! |
Herr Schneider: | Wie heißt denn die Gesellschaft? |
Anna: | U...U...Urania oder so... |
Herr Schneider: | Aha! Und sie müssen erst einen Ausbildungslehrgang mitmachen? |
Anna: | Hm! |
Herr Schneider: | Das ist schön. Ja, wie dachtest du dir das nun weiter? Du wolltest mit Fräulein Anna...? |
Frau Schneider: | Ja, Anna, nun setzen Sie sich mal, ja? |
! | (Anna setzt sich linkisch auf einen Stuhl.) |
Frau Schneider: | Die Sache ist nämlich so: Film, wissen Sie - alles, was mit Film oder Kino zu tun hat, ist eine gar nicht so leichte Sache. |
Anna: | Die Frau hat gesagt, ich wär' geeignet... |
Frau Schneider: | Sicher, sicher, ganz bestimmt, Anna! Ihr Typ ist heute gefragt! Hoffentlich laden sie uns später auch einmal ins Kino ein, was? |
Anna: | Kann ich machen! |
Frau Schneider: | Lieb von ihnen! Na, wir werden uns ihnen schon heute erkenntlich zeigen. Ich habe da ein paar Kleider, die könnten sie mitnehmen! Schade, daß sie nicht unsere Tochter sind... möchten sie unsere Tochter sein? |
Anna: | Hm! |
Frau Schneider: | Ach ja, so ein liebes Töchterlein zu haben - nicht wahr Karl? |
Herr Schneider: | Sicher, sicher |
Frau Schneider: | Wir haben ja nun nicht viel - aber wir sind immerhin nicht unvermögend. Und wenn man liebe Eltern hat, zu denen man flüchten kann - ach, liebes Kind, so schlecht ist das nicht... |
Anna: | Hm! |
Herr Schneider: | Und wenn sie eines Tages eine Berühmtheit sind, dann fällt natürlich auch ein kleiner Schatten auf uns zurück... Wissen sie was? Stehen sie doch einmal auf! |
! | (Anna steht brummig auf) |
Herr Schneider: | Nun gehen sie mal durchs Zimmer! |
! | (Anna stapft durchs Zimmer.) |
Frau Schneider: | Ach, das ist ja schon sehr schön! Doch - man sieht, daß sie begabt sind. |
Herr Schneider: | Unbedingt! Sie scheint mir sogar sehr begabt zu sein. Und was ihre Sprache angeht, so werden sie ganz schnell wie eine echte, rechte Künstlerin sprechen können. Vielleicht sind sie sogar so begabt, daß das Ausland auf sie aufmerksam werden wird. Sprechen sie mir doch einmal nach: How do you do! |
Anna: | Warum soll ich denn das sagen? |
Frau Schneider: | Aber liebes Kind! Mein Mann meint es doch nur gut mit ihnen! How ... do ... you ... do ... |
Anna: | Haududu! |
Herr Schneider: | Großartig! Na, was sagst du dazu? |
Frau Schneider: | Sie ist wirklich begabt! |
Herr Schneider: | Ja, liebe Anna, was ich noch sagen wollte: wir werden sie natürlich unterstützen. Entweder adoptieren wir sie als unser liebes Töchterlein - oder, wenn ihnen das lieber wäre, so arbeite ich nachher einen Vertrag aus, in dem wir (schnell gesprochen) aufgrund unserer seit längerer Zeit für sie verwendeten Ausbildungsbeihilfen, unserer immerwährenden Fürsorge für sie und der Tatsache, daß es sich bei uns um ihre eigentlichen Entdecker handelt, kurz und gut, paragraphenmäßig eingeteilt, also, mit, sagen wir mal, fünfzig Prozent vom Bruttoeinkommen auf, sagen wir mal, die nächsten zehn Jahre und so weiter und so weiter. Klar? |
Frau Schneider: | Das war aber sehr klar ausgedrückt! |
Herr Schneider: | Ja, das finde ich auch! Da ist sofort alles klar. Den Rest könnten sie natürlich auf eine Bank... Und was die Anlage des Geldes angeht, so werde ich ihnen auch behilflich sein. Einverstanden, liebe Anna? |
Anna: | Trinkgelder kriege ich auch - hat sie gesagt. |
Herr Schneider: | Ja? Ähemm - ja! (Sieht seine Frau an) Wie wäre es denn, wenn du nun Fräulein Anna die Garderobe - so können wir sie auf keinen Fall... |
Frau Schneider: | Natürlich nicht! Die Kleider. |
Anna: | Ein Kleid kriege ich, hat sie gesagt, die Dame. Und alle kann ich umsonst sehen - die...die Lollolo... |
Herr Schneider: | Ah! Sie meinen die Lollobrigida! |
Anna: | Und den Herrn Jürgens auch! Und die Frau Schell. Und den Herrn Gabel. |
Frau Schneider: | Clark Gable - entzückend! |
Anna: | Und den Pretzel! |
Herr Schneider: | Pretzel? Pretzel? Weißt du - |
Anna: | Der wo so mit den Hüften singt... |
Frau Schneider: | Presley meint das Kind! Elvis Presley! Aber sieh nur mal, wie sie plötzlich aufwacht, wenn sie an ihre Kollegen denkt! Kind, Kind fast beneide ich sie...! |
Anna: | Und den Horst Buchholz. Und alle umsonst! |
Frau Schneider: | Sie werden noch ganz groß werden! Wissen sie schon, welche Rollen... |
Anna: | Drops und Pfefferminz und im Sommer Eis am Stiel... |
Herr Schneider: | Was? Wie heißt der Film? |
Frau Schneider: | Karl! Du hast wirklich keine Ahnung! Drops, Pfefferminz und im Sommer Eis am Stiel - das ist doch ein wirklich reizender Titel! |
Anna: | Und alle vierzehn Tage - alle vierzehn Tage brauch' ich nicht zum Film. Nur bei die - bei die - bei die Premiere - |
Herr Schneider: | Premiere! Na, sicher doch! Bei einer Premiere müssen sie anwesend sein! Welch ein Leben, mein Kind, liegt doch vor ihnen! |
Frau Schneider: | Beneidenswert! |
Anna: | Was soll ich denn zum Abendessen kochen? |
Frau Schneider: | Ich bitte sie! Das ist doch meine Sache! Nein! Sie probieren jetzt die Kleider an, die ich ihnen schenke! |
Anna: | Die Frau hat aber gesagt, ich kriege Kleider - ein dunkles aus Seide mit hellem Kragen Und dem Abzeichen... |
Frau Schneider: | Abzeichen? |
Anna: | Urania - steht drauf. Und eine Taschenlampe kriege ich auch! |
Herr Schneider: | Sie sind köstlich, mein Kind! Wozu denn eine Taschenlampe? |
Anna: | Weil's doch dunkel ist, wenn gefilmt wird! |
Frau Schneider: | Aber doch nicht immer! |
Anna: | Doch, doch! Im Urania hat die Frau gesagt, herrscht Ordnung! Aber die Trinkgelder darf ich behalten, hat die Dame gesagt. |
Herr Schneider: | Sehen sie! Sehen sie sich das an! Die Leute sind imstande und speisen ein Künstlerin mit Trinkgeldern ab! Wie gut, daß wir auch noch da sind! |
Frau Schneider: | Unglaublich! Du machst sofort den Vertrag! Und unsere Anna unterschreibt! |
Anna: | Ich soll nix mehr unterschreiben, hat sie gesagt! |
Herr Schneider: | Unsinn! Wir wollen ihnen doch nur helfen! Haben sie den Film-Vertrag denn schon unterschrieben? |
Anna: | Die Frau hat's mir hingelegt, Und da hab' ich Anna Krawattke druntergeschrieben. |
Herr Schneider: | So ein Leichtsinn! Und wenn sie reinfallen? Diese Filmleute! Was stand denn darinnen? |
Anna: | Ich...ich - ich fang' also an als Platzanweiserin im Urania steht drin - Und - |
Herr und Frau Schneider: | Platzanweiserin! |
-Vorhang- |
20 heitere Sketsche
von Ernst Heyda
Bergwald-Verlag Darmstadt